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Motorradfahren ist seit je her ein Hobby, dass mit erheblich größeren Gefahren verbunden ist als Beispielsweise das Fahren mit dem Pkw.
Trotzdem war in den letzten zehn Jahren eine erfreuliche Entwicklung festzustellen. Sowohl die Zahl der Unfälle pro zugelassenen Motorrad als auch die Anzahl der getöteten Krad-Fahrer nimmt stetig ab. Dies ist ein klares Zeichen für einen Fortschritt in der Motorradbranche bezüglich passiver Sicherheit ( Kleidung, Helme, usw.). Leider hat es den Anschein als würde dieser erfreuliche Trend momentan erheblich gestört werden.
Es stieg die Zahl tödlich verunglückten Motorradfahrer von 1998 auf 1999 um 13,5 % auf 981 und die Zahl der Schwerverletzten um 9 % auf 13.900.
Parallel zu dieser Tatsache gab es in Bayern eine auffällige Häufung von Unfällen mit bislang fast unbeachteten Gemeinsamkeiten :
- Todesursache der Fahrer : Innere Verletzungen - Pkw-Aufprall in dessen unteren Bereich - ideale äußere Gegebenheiten (trockene Fahrbahn, taghell, gute Sichtverhältnisse) - neue Fahrzeuge - Fahrgeschwindigkeit unter 100 km/h - Sturz vor der Kollision mit dem Pkw
Daraufhin wurden einige dieser Fälle im Institut für Fahrzeugsicherheit detailliert analysiert. Die Ergebnisse sollen an folgendem aktuellen Fallbeispiel erläutert werden :
In dieser Unfallsituation biegt der Pkw-Fahrer aus der untergeordneten Straße nach links ab und übersieht das von rechts herannahende Motorrad. Der 20-jährige Motorradfahrer fährt mit vorschriftsmäßiger Geschwindigkeit von etwa 80 km/h. Die Fahrbahn ist trocken und es herrschen optimale Sichtverhältnisse. Der Motorradfahrer bremst die zwei Jahre alte Sportmaschine panikartig bis zur Radblockade ab und stürzt. Nach dem Sturz schlittert er nun praktisch unverzögert mit etwa 40 km/h gegen das Heck des Pkw. Er verstirbt an schwersten Verletzungen im Brustbereich.
Gerade dieses Beispiel zeigt, dass besonders die Entwicklung der Motorradbremsanlagen in den letzten Jahren enorme Fortschritte gemacht hat. Die 6-Kolben-Bremszangen stellen heutzutage den Stand der Technik dar und sind in Verbindung mit Stahlflex-Bremsleitungen in der Lage, das Vorderrad auch bei Geschwindigkeiten von über 100 km/h mit einem Ruck zum Stehen zu bringen. Selbst ein geübter, routinierter Motorradfahrer ist in einer Schrecksituation hoffnungslos überfordert, diese Bremsleistung zu beherrschen. Entweder er öffnet seine rechte Hand sofort nach Blockieren des Vorderrades oder der Fahrer verkrampft und stürzt in 93 % der Fälle. In beiden Situationen aber kann er seine vorhandene Bremsleistung nicht optimal nutzen und verschenkt wertvollen Bremsweg.
Die Lösung dieser Problematik liegt praktisch auf der Hand. Der Einsatz von ABS-Bremsanlagen verhindert die sturzverursachende Blockade des Vorderrades.
Das ABS-System (ab 1988) von BMW arbeitet nach dem "Plungerprinzip" . Hier werden Raddrehsignale der Meßsensorik an den getrennt geregelten Rädern permanent ausgewertet. Droht durch steil abfallende Radumfangsgeschwindigkeit eine Blockade, senkt ein Druckmodulator den Systemdruck soweit ab, dass ein Abrollen des Rades gesichert ist. Ist dies eingetreten, wird der Systemdruck wieder bis an die Blockiergrenze angehoben. Dieser Vorgang findet bis zu siebenmal in einer Sekunde statt. Das ABS-System wirkt zwischen den Fahrbahnreibwerten von m = 0,1 (wasserüberflutetes Glatteis bis m = 1,3 (sehr rauer Asphalt) und setzt ab 4 km/h (Schrittgeschwindigkeit) ein. Dieses System lernt durch Überwachung der Kolbenstellung während des Regelvorgangs den Fahrbahnzustand (nass, trocken, usw.) und schafft es somit, im günstigsten Bremsbereich längere Zeit zu verharren. Da lediglich der Druckmodulator und die Messeinheiten elektronisch funktionieren, ist die Funktion der rein hydraulischen Bremse bei Ausfall des Bordnetzes gesichert.
Die vielseitigen Einsatzmöglichkeiten von ABS bei Motorrädern war für uns der Anlass, Auswertungen der Datenbank des Institutes für Fahrzeugsicherheit mit entsprechender Aufgabenstellung vorzunehmen.
Die größte Erfolgswahrscheinlichkeit kann hier bei Unfällen mit Sturz des Motorradfahrers erwartet werden. Aber auch bei Bremsungen ohne Sturz ist ein gewisses Wirkpotential für ein ABS-System vorhanden.
In 239 Fällen (65,1 %) konnte vor dem Unfall eine Bremsung nachgewiesen werden. Hier ist eine Entschärfung der Unfallsituation durch ein ABS-System prinzipiell möglich.
In 44 Fällen (19 %) der Unfälle mit sicher nachgewiesener Bremsung fand als Erstereignis ein Sturz des Krad-Fahrers statt. Hier ist der Einsatz von ABS besonders erfolgversprechend (über 90 %).
Die durch ABS-Bremsen gewonnene Sicherheit auf dem Motorrad beschränkt sich natürlich nicht auf Krisensituationen zwischen Pkw und Motorrad sondern wirkt sich auch entscheidend bei den Alleinunfällen aus.
In etwa 40 % der Alleinunfälle wäre eine positive Beeinflussung des Unfallablaufes durch ein ABS-Bremssystem möglich.
Das Wirkpotential einer ABS-Bremse bei Motorräder beschränkt sich jedoch nicht nur auf Unfälle mit Sturz. In 65 % aller Kollisionen zwischen einem Motorrad und einem Pkw hat der Motorradfahrer noch Zeit zu bremsen. Selbst ein geübter Fahrer schafft es nicht, die optimal mögliche Verzögerung zu erreichen. Wenn der Fahrer aus Angst vor einer drohenden Vorderradblockade das mögliche Bremspotential nicht 100%ig ausschöpft oder aus eben diesem Grund die Bremse für den Bruchteil einer Sekunde lockert, verliert er wertvollen Weg, der häufig zwischen Leben und Tod entscheidet.
In einem Versuch mit zwei routinierten Stuntmen wurde der Bremsweg einer Maschine ohne ABS und einem Motorrad mit ABS verglichen :
Obwohl der Bremsweg der Maschine ohne ABS theoretisch geringfügig kürzer ausfallen müsste, gelang es dem Fahrer kein einziges Mal, das Motorrad vor der ABS-Maschine zum Stillstand zu bringen. Wenn nun ein Motorradfahrer bei der Gefahrenbremsung das Verzögerungspotential der Bremsanlage komplett ausreizen kann, hätte dies eine deutlich geringere Kollisionsgeschwindigkeit beim Zusammenprall mit dem Pkw und somit erheblich geringere Verletzungen zur Folge.
Wenn alle Motorräder in Deutschland mit ABS ausgerüstet werden, könnte das Unfallgeschehen in dieser Fahrzeugsparte sowohl in seiner Häufigkeit als auch bei den Folgen beträchtlich reduziert werden.
1998 verunglückten ca. 36.400 Motorradfahrer bei Unfällen. In mehr als der Hälfte dieser Unfälle wäre durch ein ABS-System die theoretische Chance einer positiven Beeinflussung des Geschehens gegeben.
Forderungen :
- Mehrphasige Ausrüstung aller Motorräder mit ABS. In zwei bis drei Stufen (Sportmaschinen à Tourer à alle Motorräder) sollte es realisierbar sein, alle Motorräder in absehbarer Zeit mit ABS auszustatten.
- Kostenreduzierung für optional angebotene ABS-Systeme. Ein Aufpreis von bis zu 2000,- DM für eine ABS-Bremsanlage ist für die Großzahl der Kunden uninteressant. ABS-Systeme massiv in die Werbung einbringen. Wie das Beispiel der Pkw-Airbags in der jüngsten Vergangenheit zeigt, herrscht beim Kunden ein enormes Sicherheitsbewusstsein, so dass Schutzsysteme deren Kaufentscheidung stark beeinflussen können.
- Weitere Forschungsbemühungen, um mit ABS-Bremssystemen auch bei Kurvenbremsungen vernünftige Resultate zu erzielen.
- Verstärkte Aufklärung über die Wirkungsweise von ABS, um dem gefährlichen "Halbwissen" bei Motorradfahrern von erster Sekunde an entgegenzuwirken.
- Trainingsmöglichkeiten und praktische Erfahrung mit ABS-Anlagen ermöglichen. Ein intensives Sicherheitstraining im direkten Anschluss oder parallel zur Führerscheinausbildung für einen geringen Aufpreis könnte vermutlich eine beträchtliche Zahl von Fahrschülern zu diesen Maßnahmen bewegen.
- Für den Erwerb eines Motorradführerscheins muss in der Prüfung eine Vollbremsung mit 50 km/h gezeigt werden. Ein neuster Trend bei Fahrschulen ist es nun, dem Fahrschüler für diese Übung auf Wunsch eine ABS-Maschine zur Verfügung zu stellen, wenn er aus Unfähigkeit oder Angst nicht in der Lage ist, diese Pflichtaufgabe zu bewältigen. Dieser Entwicklung muss dringendst entgegengewirkt werden. Es muss in diesen Fällen unbedingt im Führerschein vermerkt werden, dass diese Person nur Motorräder mit ABS fahren darf.( Quelle : IFM 1999 ...
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